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Hatha Yoga Reinigungstechniken - die inneren Räume zum Strahlen bringen

Einführung in Shatkarma

 

Wenn das Haus rein ist, freut sich der Mensch. Wenn der Mensch gereinigt ist, freut sich die Seele. Die Reinigung der inneren Räume des menschlichen Körpers ist eine Verabredung mit der Vitalität und der Unbeschwertheit. Sie befreit von Schmutz, Ballast und Giften. Diese Reinigung ist die Wurzel yogischer Gesundheit. Das ist das Geheimnis der Shatkarma.

Shatkarma gelten als das Fundament des Hatha Yoga. Shat bedeutet „sechs“ und Karma „Tat, Handlung“, wörtlich übersetzt „sechs Handlungen“ und meint die sechs Reinigungsfächer des Yoga. Diese Techniken haben sich seit Jahrtausenden bewährt und sind in ihrer Einfachheit unübertroffen.

Die Shatkarma bestehen aus folgenden Fächern:

 · Neti – Reinigen der Nasenwege

 · Nauli – Vitalisieren der Bauchorgane

 · Basti – Reinigen des Enddarms

 · Dhauti – Reinigen des ganzen Darms

 · Kapalbhati – Vitalisieren des Vorderhirns

 · Trataka – Reinigen der Augen

Physiologisch betrachtet reinigen diese Techniken die Körperhöhlen: die Nasenwege, Neben- und Stirnhöhlen, Rachen, Bronchien sowie den Verdauungstrakt vom Mund bis zum Anus. Sie sind hilfreich bei Kopfschmerz, Migräne, Asthma, Heuschnupfen, allergischen Erkrankungen, Verstopfung, Depressionen und zahlreichen anderen Erkrankungen. Durch die Reinigung wird entgiftet, Selbstheilungskräfte aktiviert und eine Neuregulation des inneren Milieus angestoßen.

Der tiefere Sinn liegt darin, Energieblockaden zu lösen, so dass Prana, die feinstoffliche Energie, im ganzen Körper ungehindert fließen kann. Denn ein freier Energiefluss ist das Fundament für eine gute Gesundheit. Das Ziel ist es, sich weiterführenden Yoga Techniken widmen zu können und die yogische Lebensweise zu unterstützen.

Die positiven Wirkungen sind allen Menschen zugänglich. Jeder kann davon profitieren. Einschränkungen bestehen bei Bluthochdruck, Magen- oder Zwölffingergeschwür, Blutungen verschiedener Arten des Gastrointestinaltraktes und Netzhautablösung. Daher sollten diese Techniken nur unter Aufsicht eines erfahrenen Yoga-Lehrers eingeführt werden. Bei Unsicherheiten ist ein Arzt oder Heilpraktiker zu konsultieren.

Im Seminar Hatha Yoga Reinigungstechniken werden die Techniken Laghu Shankhprakshalana, Kunjal Kriya, Neti und Kapalbhati vorgestellt. Es besteht aus folgenden Phasen:

1. Laghu Shankhprakshalana

2. Kunjal Kriya

3. Jala Neti

4. Kapalbhati

5. Yoga Nidra

6. Khichari

Im Folgenden werden diese Techniken beschrieben.

1. Laghu Shankhprakshalana: sauberer Darm

Der menschliche Darm gleicht dem Inneren einer Muschel. Shankha bedeutet „Muschel“ und Prakshalana „mit Wasser waschen“ – Shankhprakshalana bedeutet also „die Muschel mit Wasser waschen“. Laghu Shankhprakshalana, auch „die kleine Darmwäsche“ genannt, ist eine Form, die sich gut für viele Menschen eignet.

Die Absicht dieser Technik ist es, die gesunde Darmfunktion zu fördern. Die Peristaltik wird angeregt und die Nieren gespült. Empfohlen wird die Technik bei Verdauungsstörungen. Medikamente können weiter eingenommen werden.

Der Schlüssel für die herausragende Wirkung dieser Technik sind fünf Asanas, die dynamisch und in hoher Wiederholung ausgeführt werden. Sie dehnen, massieren, wringen und kontrahieren systematisch Speiseröhre, Magen, Zwölffingerdarm, Dünndarm, Dickdarm und Rektum. Diese intensive Behandlung führt zu einer effektiven Mobilisierung des Darms.

Vorab werden mehrere Gläser Salzwasser getrunken, die dem physiologischen Salzgehalt von 0,9 % entsprechen. Dadurch bleibt das Wasser im Darm und setzt seine völlige Entleerung in Gang. Parallel werden die Darmzotten, Epithelgewebe, Mikrovilli sowie die Haustren und Tänien dieses fünf bis sechs Meter langen Organs gespült und gewaschen.

Gleichzeitig bleibt durch das Verwenden von physiologischem Salzwasser das gesunde Mikrobiom erhalten und eine Elektrolytverschiebung wird vermieden. Die eigene Darmflora wird in ihrer Funktion angeregt.

Während dieser Phase kann es nötig sein, mehrmals auf die Toilette zu gehen für die erwünschte Darmentleerung. Eine Müdigkeit kann sich dabei zeigen.

Die Beschreibung dieser Technik mag gewöhnungsbedürftig erscheinen, doch im Yoga und Ayurveda, der traditionellen indischen Heilkunst, werden dieser Technik mannigfaltige gesundheitsfördernde Kräfte zugeschrieben, so dass sie auch im Westen immer mehr Anhänger findet.

2. Kunjal Kriya: der glücksbringende Elefant

Elefanten haben die Fähigkeit enorme Mengen Wasser durch ihren Rüssel wieder abzugeben. Kunjal bedeutet „wie ein Elefant“ und Kriya „Handlung, Tätigkeit“. In der Yoga Mythologie gilt der Elefant als Glücksbringer und Begleiter der Schönheitsgöttin Laxmi. Kunjal Kriya bezeichnet die Regurgitation von Wasser und wird auch „das yogische Erbrechen“ genannt.

Im Westen ist das Erbrechen oft negativ besetzt, da es mit Krankheit oder Vergiftung assoziiert wird, besonders mit der Alkoholvergiftung. Dabei ist der Brechreflex natürlich und lebenswichtig. Die positiven Wirkungen von Kunjal Kriya, die auch als Vomitationstechnik bezeichnet wird, sind so tiefgreifend, dass sie ausdrücklich von erfahrenen Hatha Yoga Lehrern empfohlen wird.

Durch Kunjal Kriya kommt es zu einer spontanen Regulation des autonomen Nervensystems. Durch die starken Muskelkontraktionen der Magenwände werden alle Bauchorgane angeregt. Es kommt zum „Reset“ des neuronalen Netzwerks. Überanspannung wird gelöst, was als rasch eintretendes Wohlbefinden und Entspannung erlebbar ist.

Im Yoga sind drei Reflexe bekannt, in denen die Energie im Körper rasch ein Maximum erreicht und sich schlagartig im ganzen Körper verteilt: Niesen, Orgasmus und Erbrechen. Dies macht Kunjal Kriya besonders wertvoll bei Kopf- und Muskelschmerzen, Migräne, Asthma, Stress, Ängsten und Depressionen.

Bei Kunjal Kriya wird eine große Menge an physiologischem Salzwasser zügig getrunken und durch den Mundsperre-Reflex, so der medizinische Begriff für den Brechreflex, schwallartig wieder herausgebracht. Dies geschieht durch ein Kitzeln der entsprechenden Rezeptoren im Rachen. Auf Rat eines Yoga Lehrers kann auch klares Wasser verwendet werden. Der Vorteil von Salzwasser liegt jedoch darin, dass Schleim besser entfernt werden kann und die Säureproduktion verringert wird.

Alternativ kann das Wasser auch behutsam durch eine Kontraktion der Bauchmuskulatur wieder herausbefördert werden. Diese Technik heißt Gaja Karma Kriya. Das ist eine sanfte Methode für all diejenigen, die Probleme haben das Wasser mit Hilfe des Mundsperre-Reflexes wieder abzugeben. Sie gilt als fortgeschrittene Technik, da eine Kontrolle der Abdominalmuskulatur in Verbindung mit einer Entspannung der Speiseröhre Voraussetzung ist.

Nicht geeignet ist diese Übung bei Leistenbruch, Bluthochdruck, erhöhtem Schädelinnendruck, Herzerkrankungen, Schlaganfallneigung, akutem Magengeschwür und Diabetes mit Augenbeteiligung sowie bei Schwangerschaft.

3. Jala Neti: Freiheit für Nase und Rachen

Neti, „die Nasenspülung“, ist das sanfte Reinigen der Nase mit Salzwasser in einem Neti Lota, einer Nasenspülkanne. Durch den physiologischen Salzgehalt wird ein Brennen in der Nase vermieden.

Die Nase und der obere Rachenraum werden von Schleim, Schmutzpartikeln, Bakterien, Viren, Pilzen, Pollen, Verkrustungen und anderen pathogenen Reizen befreit. Die Flimmerhärchen, die für die Reinigung der Atemwege zuständig sind, werden angeregt. Die Verbindungspfade zwischen Nase und Nebenhöhlen werden freigehalten. Die Neben- und Stirnhöhlen werden vitalisiert. Schleimhäute schwellen ab und die Nasenatmung wird offener.

Eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover aus dem Jahr 2003 belegt, dass durch die Spülungen das Erkältungsrisiko um ein Drittel und das allergische Schnupfensymptome um ein Fünftel zurückgingen. Bei anhaltenden Entzündungsbeschwerden der Nase und Nebenhöhlen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin DEGAM die Anwendung. Lindernd ist diese Technik bei Heuschnupfen, Kopfschmerzen bis hin zu Migräne.

Diese Technik kann täglich, bei Bedarf sogar mehrmals am Tag, gefahrlos ausgeführt werden. Ein Risiko bezüglich der Austrocknung der Nasenwege aufgrund des Salzgehaltes besteht nicht.

4. Kapalbhati Pranayama: den Stirnraum vitalisieren

Kapalbhati wird übersetzt als „die Reinigung des Vorderhirns“. Es gleicht einer Luftdruckreinigung der Bronchien, Rachen, Stirn- und Nebenhöhlen sowie Nasenwege. Es ist eine Atemtechnik, die als Unterstützung von Neti hilft, verbliebendes Salzwasser und vermehrten Schleim zu entfernen. Es regt die Selbstreinigung der schleimbildenden Zellen an, insbesondere der Flimmerhärchen, deren Funktion maßgeblich die Gesundheit des Atemtraktes bestimmt und die Qualität des Atems beeinflusst. Sie hat eine belebende Wirkung auf die Lungen, das Nerven- und das Verdauungssystem. Es entsteht ein Gefühl der Leichtigkeit im vorderen Bereich des Kopfes und der Stirn. Das gibt der Übung ihren Namen.

5. Yoga Nidra: der bewusste Schlaf

Nach den Anstrengungen der vorausgegangenen Reinigungstechniken folgt die Meditation und Tiefenentspannung im Liegen Yoga Nidra. Nidra bedeutet „Schlaf“ und Yoga Nidra kann als der „psychische“, „dynamische“ oder „bewusste“ Schlaf übersetzt werden. Diese Übung ist eine achtsame Pause für Körper und Geist. Die mit Yoga Nidra einhergehende tiefe Entspannung unterstützt die angestoßenen Prozesse der Revitalisierung.

Dadurch wird die Wahrnehmung systematisch nach innen geführt, was den Zustand von Pratyahara, der Entkopplung von den Außenreizen, auslöst. Der Körper wird völlig entspannt und bewegungslos. Gleichzeitig bleibt das Bewusstsein aktiv. Während die Wahrnehmung einem meditativen Weg folgt, kann der Geist zur Ruhe kommen. Die Erfahrung einer tieferen Dimension des Selbst kann eintreten.

So unterstützt Yoga die Bewusstheit für die Wirkung der Hatha Yoga Reinigungstechniken auf körperlicher, energetischer und mental-emotionaler Ebene. Es ist eine der wichtigsten Formen der Wahrnehmungsschulung des Bihar Yoga Systems und beinhaltet die Essenz der yogischen Erfahrung.

6. Khichari: Auftakt für neue Nahrung

Nach der Reinigung ist der Darm empfindsam und bedarf einer angemessenen Nahrung. So wie ein Neugeborenes die bestmögliche Nahrung erhält, die Muttermilch, erhält der Darm nach den Reinigungstechniken ein leicht verdauliches, nahrhaftes und gut verträgliches Gericht: Khichari.

Es besteht aus Reis, Linsen, Gemüse und Ghee. Es ist reich an Ballaststoffen, Kohlenhydraten, Proteinen und essenziellen Fettsäuren sowie Vitamine, Mineralien und Spurenelemente. Damit entspricht es den Grundsätzen einer allgemein anerkannten gesunden Ernährung und gilt im Ayurveda als Basisgericht für ein gesundheitsförderndes Essen. Es wird ohne Gewürze und mit wenig Salz serviert, um Ruhe und Entspannung zu fördern. Khichari wirkt ausgleichend und entgiftend.

Die Zusammensetzung von Khichari ist bedeutsam, um das völlig entleerte Verdauungssystem anzuregen, seine Aufgabe wieder aufzunehmen. Besonders der hohe Ballaststoffanteil dient dazu, die Peristaltik wieder anzuregen. Darüber hinaus verstärken die Ballaststofffasern die Reinigung des Darms von innen durch ihre mechanische Reibung. Die Kohlenhydrate fügen dem Körper schnelle Energie zu, die während der zahlreichen Asanas verbrannt wurde. Und die Proteine und Fettsäuren unterstützen den Aufbau von Zellen und Hormonen.

Energetische Wirkungen: Sonne und Mond in Einklang bringen

In der Hatha Yoga Pradipika heißt es „Erst, wenn alle Nadis von Unreinheiten befreit sind, kannst du erfolgreich Pranayama üben“. In der yogischen Physiologie ist der menschliche Körper durchzogen von einem Netzwerk an Energiewegen, den Nadis. Die Prashnopanishad erwähnt 72.000 dieser Energiekanäle. Eine andere klassische Quelle spricht von 350.000 dieser Energiewege. Jede menschliche Zelle ist mit diesem Netz verbunden.

Dieses dreidimensionale Netz besteht aus Prana, der feinstofflichen Energie, die den Körper am Leben erhält. Sie ist gleichbedeutend mit dem Qi aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Prana wird durch den Atem aufgenommen und im Körper für alle physiologischen Vorgänge gebraucht.

Im Yoga gibt es drei Hauptenergiewege: Ida, Pingala und Sushumna. Ida ist die Bezeichnung für die „Mondenergie“, Pingala für die „Sonnenenergie“. Sie entsprechen dem autonomen Nervensystem: Sympathikus und Parasympathikus. Diese sind verantwortlich für Anspannung und Entspannung. Sushumna bedeutet „graziös, freundlich“ und weist auf die Wichtigkeit dieses Energieweges hin. Dieser Nadi verbindet die Chakras, die Energiezentren des menschlichen Körpers, miteinander. Werden alle Chakras gereinigt, kann die Energie frei im ganzen Körper fließen – das Merkmal für eine gute Gesundheit.

Laghu Shankprakshalana aktiviert besonders das Bauchchakra, auch Manipura Chakra genannt, das Energiezentrum, welches für die Verdauung und die gesunde Funktion von Magen, Zwölffingerdarm, Dickdarm, Pankreas, Milz, Gallenblase und Leber verantwortlich ist. Wird Manipura Chakra aktiviert, erhöht sich das Energieniveau des Körpers. Durch die fünf Asanas werden ebenso die übrigen Chakras aktiviert, was zum freien Energiefluss im ganzen Körper führt.

Mentale Wirkungen: Sonnenaufgang über einer friedvollen Landschaft

Die Reinigungstechniken lösen Überanspannung und blockierte Energien. Sie balancieren das physio-psychologische System. Es gleicht einer Neuformatierung einer Festplatte, die alle Funktionen des Körpers und des Geistes positiv berührt. Sinnliche Zerstreuung und Schläfrigkeit lassen nach, der Geist wird für mentale Arbeit mit Energie versorgt. Es wirkt aufhellend, gegen Depressionen, Antriebs- und Angststörungen.

Laghu Shankhprakshalana hat eine obstipationsbeseitigende Wirkung und löst emotionale Trägheit. Kunjal Kriya hat eine entspannende, aggressionsmildernde und angstlösende Wirkung. Zwangsstörungen, Phobien, Ängste können dadurch Linderung erfahren. Jala Neti in Zusammenspiel mit Kapalbhati verhilft zur Lösung von Anspannungen im Gesicht und Rachenraum und kann Entlastung bei psychischen Spannungszuständen, Grübelzwang, Gedankenkreisen, Gedankenstopps, Gedankenüberfluss oder einengenden Gedanken bringen.

In besonderen Fällen kann es Einschränkungen bei schweren psychischen Krankheiten geben, da auch tiefere mental-emotionale Bewegungen angestoßen werden können. Bei Unsicherheiten sollte ein erfahrener Yoga Lehrer oder Psychiater befragt werden.

Fazit

Die Hatha Yoga Reinigungstechniken sind bewährte Techniken und ein Ritual, um die Gesundheit zu pflegen. Sich einem Tag der inneren Reinigung zu widmen ist ein wertvoller Entschluss zur Selbstfürsorge. Es kann ein Auftakt zu einer Ernährungsumstellung oder Beginn einer Diät sein. Ein Fasteneinstieg kann dadurch erleichtert werden, da das Hungergefühl durch die Darmleerheit verringert wird.

Die beste Jahreszeit für eine umfassende Reinigung ist der Frühlingsbeginn oder Herbsteinbruch, da der Körper bei der jahreszeitlichen Umstellung unterstützt wird. Für Yoga Aspiranten sind diese Techniken ein Schatz, denn durch körperliche Reinigung geht eine geistigen Entlastung einher, welches der yogischen Erfahrung den Weg ebnet.

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