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Tantō – das Messer der Samurai

Hinweis

Das diesjährige Jahresthema im Eiryu Dōjō ist Tantōjutsu, Messerverteidigung.

 

Zusammenfassung

Das Tantō ist das Kampfmesser der Samurai. Es blickt auf eine über 1200 Jahre alte Tradition zurück. Eine Vielzahl an Varianten existieren. Es wird als Kunsthandwerk und als Indurstrieprodukt gefertigt. In der Moderne hat es zu einer weiten Verbreitung außerhalb von Japan gefunden. Im Budo wird Tantōjutsu, die Verteidigung mit diesem Messer, bis heute überliefert.

 

Tantōjutsu ist Selbstverteidigung

Tantōjutsu (短⼑Kurzschwert Technik), die Selbstverteidigung mit dem Tantō, erlebt durch die internationale Verbreitung der japanischen Kampfkünste, seit den 1980er Jahren eine Renaissance. In der Regel werden darunter die Selbstverteidigung oder der Kampf mit dem Messer verstanden. In der heutigen Zeit gibt es ein Bedürfnis für Tantōjutsu im zivilen und professionellen Bereich. Im Eiryu-Dōjō und im Bujinkan Budo Taijutsu ist Tantōjutsu ein Teil des Trainings.

 

Messer oder Kurzschwert?

Der Begriff Tantō für Kampfmesser ist auf den zweiten Blick vielleicht irritierend. Das Tantō (短⼑ Kurzschwert) ist ein Nihontō, eine traditionell hergestellte japanische Klinge. Es wurde von den Samurai des feudalen Japans bis zur Heian-Ära (794–1185) getragen. Das Tantō ist ein- oder zweischneidig mit einer Klingenlänge zwischen 15 und 30 cm, maximal 1 Shaku (japanisches Maß, 1 Shaku entspricht 303 mm) und war mit Griff nicht selten länger als 40 cm. Es diente als Stichwaffe und kann auch zum Schneiden verwendet werden. Oft besaß eine Tsuba (鍔 Stichblatt). Mit seiner traditionellen Länge entspricht es damit weniger einem Messer, sondern eher einer Mischung zwischen Kurzschwert und Messer.

 

Kaiken – die kleine Schwester des Tantō

Die vermutlich traditionell korrektere Bezeichnung wäre Kaiken (懐剣 Brusttaschenklinge) oder Kaiken-tantō (懐短⼑ Kimonomesser) in Bezug auf die Selbstverteidigung heutzutage. Es ist ein 20–25 cm langes, einschneidiges oder selten zweischneidiges japanisches Messer, meist ohne Verzierung in schlichter Scheide. Das Kaiken wurde einst von Mitgliedern der Samurai-Klasse getragen. Es diente der Selbstverteidigung. Insbesondere in engen Lagen, wie Innenräume war es nützlich. Oft trugen Frauen sie im Kimono, im Futokoro (Brusttasche) oder Tamoto (Ärmeltasche). Es wurde auch für Seppuku, dem rituellen Selbstmord, verwendet. Die Frau eines Samurai erhielt es als Teil ihrer Hochzeitsgeschenke. Es wurde erwartet, dass sie es bei sich trug. Das Kaiken wurde auch von unteren Klassen, die einem Schwertverbot unterlagen, verdeckt getragen; vorwiegend von Kriminellen der Edo-Zeit (1603-1868).

Heute ist das Kaiken ein Accessoire für den Gyōji (Schiedsrichter) bei Sumo-Kämpfen. Das Tragen von Kaiken ist ein Verstoß gegen das japanische Waffen- und Schwertgesetz.

 

Das Wakizashi verdrängt das Tantō

Tantō wurden alternativ als Shōtō (⼩⼑ „kleines Schwert”) anstelle eines Wakizashi (脇差 „an der Seite getragen“) getragen; oft auf dem Schlachtfeld. Es wurde als Daishō (大小 „groß-klein“), einem Set aus Katana und kurzer Klinge, geführt. Hier wurde z. B. das Yoroi-doshi für den Nahkampf verwendet, um die Rüstung aufzuhebeln und effektive Stiche auszuführen. Später, in der Edo-Periode, einer langen Friedenszeit, wurde es vom Wakizashi verdrängt. Der Name Shōtō bezieht sich eher auf diese Waffe. Sie war maximal zwei Shaku, also zwischen 303 mm bis 606 lang. Es war ein Statussymbol und war die bevorzugte Waffe im Innenbereich aufgrund des Längenvorteils. In bestimmten Fällen durfte es auch beim Betreten öffentlicher Gebäude getragen werden und musste nicht, wie das Katana, abgegeben werden.

 

Tantō – Kunstwerk und Kampfmesser

Tantō werden meist im Hirazukuri (平造 Einfacher Stil, ohne Gratlinie) geschmiedet. Im Gegensatz zur Shinogi-Zukuri-Struktur (鎬造 Gratlinienstil) eines Katana sind sie nahezu flach. Manche haben massive Querschnitte für den panzerbrechenden Einsatz und werden als Yoroi-dōshi (鎧通し „Rüstungsbrecher“) bezeichnet.

Mit Beginn der Kamakura-Ära (1185/1187–1333) wurden Tantō stärker nach ästhetischen und symbolischen Gesichtspunkten gestaltet. Sie bis heute als Kunsthandwerk hochgeschätzt. Dies ging so weit, dass bekannte Arbeiten in der Edo-Periode gefälscht wurden. Sehr beliebte Stile waren Hara und Uchi-Sori. Zur Mitte der Kamakura-Zeit. Bekannte Stile wie der Kanmuri-Otoshi-Stil verbreitete sich in Kyoto und Yamato. Mit Beginn der Kamakura-Periode wurden die Klingen länger und breiter, um als Ergänzung zum Tachi zu dienen.

 

Die Familie der Tantō

Die Familie der Tantōklingen ist groß. Je nach Absicht und Bedürfnis sind eine Vielzahl an verschiedenen Formen entstanden. Hier sind einige:

▪ Hira (平 „einfach, flach”): Die Klinge bildet ein fast flaches Dreieck, von der Mune („Rücken“) bis zur Ha („Schneide“). Sie hat keine Shinogi. Es ist die verbreitetste Klingenform.

▪ Shinogi (鎬 „Gratlinie”): Dieses Tantō wurde meist aus einem abgebrochenen Katana hergestellt. Daher hat es seine Klingengeometrie. Die Shinogi erstreckt sich zwischen Kantenschräge und Klingenkörper. Es ist als eigenständige Klingenform für Tantō selten.

▪ Osoraku (恐 „Angst, Furcht“): Diese Klinge verfügt über eine sehr lange O-Kissaki („lange Spitze“), die oft über die Hälfte der Klinge verläuft.

▪ Shōbu (菖蒲 „Iris, Wasserlilie“): Dieser Klingentyp ähnelt dem Shinogi-Typ. Ihm fehlt die Kokotte („Seitlinie“), die Linie zwischen Schneide und Spitze.

▪ Unokubi (鵜⾸ „Kormorankopf“): Bei dieser Klinge verdünnt sich der Rücken in der Mitte und gewinnt zur Spitze wieder an Stärke. Es handelt sich um einen eher ungewöhnlichen Stil.

▪ Kanmuri-otoshi (冠落とし造り „Vergnügen zu leben“): Diese Klinge gleicht dem Hira- oder Shōbu-Stil. Die Spitze ist beidseitig geschliffen. Sie verfügt über eine Rille auf halber Klingenhöhe der Klinge. Sie ähnelte auch der Unokubi-Klinge.

▪ Kissaki-moroha (切先両刃 „zweischneidige Spitze“): Wie der Name vermuten lässt, hat diese Klinge eine zweischneidige Spitze. Das berühmteste Schwert mit dieser Klinge ist das Tachi Kogarasu Maru (小烏丸, dt. „Schwert der kleinen Krähe“, „Kleine Krähe“, Ende d. 9. Jahrhunderts), ein Nationalschatz Japans.

▪ Moroha (両刃 „Doppelschneide“): Dieser zweischneidige Klingentyp hat einen rautenförmigen Querschnitt. Die Shinogi verläuft bis zur Kissaki (Spitze).

▪ Yoroi-dōshi (鎧通し „Rüstungsbrecher“): Diese Klinge hat einen besonders breiten Querschnitt für den panzerbrechenden Einsatz.

▪ Katakiriha (⽚切刃 „Teilschneide“): Dieser Klingentyp ist asymmetrisch. Sie ist einseitig geschärft und hat einen meißelförmigen Querschnitt.

▪ Kubikiri (⾸切り „Kopfschneider“): Die Klinge ist sichelartig konstruiert, mit der Schneide an der Innenkurve, ohne scharfe Spitze. Dies ist ein seltener Typ.

▪ Hōchōgata (包丁形 „Küchenmesserform“): Diese Klinge gleicht einem breitem Hira. Der legendäre Schwertschmied Masamune bevorzugte diese Form.

Abbildung aus Wikipedia Commons

Mit oder ohne Handschutz

Das Tantō wird mit und ohne Handschutz (Stichblatt) gefertigt. Das Stichblatt schützt die Hand vor Verletzungen, z. B. durch Abrutschen nach vorn oder vor einer gegnerischen Waffe.

Die beiden Konstruktionen heißen:

▪ Aikuchi (合⼝ „Dolch“): Dieses Tantō zeichnet sich dadurch aus, dass der Griff fast bündig in die Klinge übergeht. Es hat keinen Handschutz und besteht meist aus schlichtem Holz.

▪ Hamidashi (食出 „hervorquellen“: Dieses Tantō hat einen kleinen Handschutz.)

 

Vom versteckten Tantō bis zum recycelten

Besondere Tantō-Typen, die häufiger verwendet wurden, lassen sich unterscheiden bezüglich ihrer Form und Funktion.

Drei davon sind:

▪ Tessen-tantō (鉄扇短⼑ „Fächerklinge“): Diese Klinge war verborgen innerhalb eines Fächers. Die Klinge war meist von geringer Qualität.

▪ Yari-tantō (鎗短⼑ „Speerklinge“: Dieses Tantō wurde aus einer Speerspitze gefertigt. Es hatte oft einen dreieckigen Querschnitt.

▪ Ken-tantō (剣短⼑ „Grades Schwert-Messer”: Diese Klinge zeichnet sich durch seine Gradlinigkeit und Zweischneidigkeit aus. Oft werden diese für buddhistische Rituale verwendet. Der Griff wurde dazu häufig mit einem Vajra (Donnerkeil, Symbol aus dem Buddhismus, Anm. d. Verfassers) verbunden.

 

Die Renaissance des Tantō

Eine Großzahl an Tantō wurden vor dem Zweiten Weltkrieg gefälscht aufgrund der aufkommenden japanischen nationalen Rückbesinnung. Mitglieder des kaiserlichen Hofes begannen wieder, Tachi- und Tantō zu tragen. Die Zahl von Tantōs nahm dramatisch zu. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte eine Beschränkung des Schwertschmiedens zu einer Tantō-Regression. Erst das westliche Interesse seit 1960er Jahren an japanischen Kampfkünsten führte zu einer neuen hohen Nachfrage.

Viele amerikanische Hersteller haben sich der Weiterentwicklung gewidmet und zur Popularisierung beigetragen. Das Besondere der amerikanischen Tantōklinge ist die aprubt anmutende Teilung in eine kurze Klinge an der Spitze und einer langen, die bis zum Heft reicht. Es gibt verschiedene Tendenzen, wie z. B. Klappmesser mit Tantō-Klinge, Tantōklingen mit modernen, ergonomischen Griffen aus neuen Materialien, bis hin zu Kopien von Original-Tantōs. Vermutlich haben diese Modelle auch zu der Verbreitung des Namens „Tantō“ als japanisches kurzes Messer für den Nahkampf beigetragen.

 

Tantō im Training

Tantōjutsu ist Teil vieler japanischer Kampfkünste, den Koryu (Kampfkünsten, die vor 1868 gegründet wurden, z. B. Ninjutsu) und den moderneren, den Gendai (Kampfkünsten, die nach 1868 gegründet wurden, z. B. Aikido, Judo). Als typisches Trainings-Tantō wird ein Holz-Tantō, mit einer Länge von ca. 29 cm, oft Eiche, verwendet. Sie bestehen aus einem einfachen Griffbereich und einer einseitigen abgerundeten Klingennachbildung, die in einer Spitze ausläuft. Diese finden Anwendung in Kata (Form) und Goshinjutsu (Selbstverteidigung). Andere Materialien wie Kunststoffe, Aluminium oder Stahl werden auch häufig verwendet.

 

Zusammengefasst: Hatsumi-senseis Tantōjutsu

Das Tantō blickt auf eine lange, traditionsreiche und kriegerische Vergangenheit zurück. Es hat seinen festen Platz in der japanischen Kultur und ist vielleicht der erfolgreichste Botschafter der japanischen Schmiedekunst neben dem Katana. Die internationale Wertschätzung, ob als Budoka, Privater, Professioneller oder Sammler, zeigt, dass das Tantō eine Spanne vom Kultobjekt bis zur Selbstverteidigung fasst. Mir kommt zum Abschluss das Cover von Unarmed Fighting Techniques of the Samurai (Unbewaffnete Kampftechniken der Samurai) von Soke Dr. Masaaki Hatsumi. Darauf ist er in einer unbewaffneten Verteidigungshaltung abgebildet. Auf der Rückseite des Buches hält er ein Tantō. Mir kommt, dass ein Budōka nie wirklich unvorbereitet ist körperlich und geistig.

Foto: EIRYU, Hamidashi-Tantō, mit Tsuba im Musashi-Stil

Grafik: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Tantō_blade_styles.svg

Quellen: Wikipedia & eigene Notizen

 

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