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Wintersonnenwende - Eine yogische Zeit

„Wer sich vom Grund abstößt,

taucht schneller wieder auf.“

Wer zu schnell auftaucht,

bekommt die Taucherkrankheit.

Alles hat seinen natürlichen Rhythmus.“

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Am 21. Dezember ist Wintersonnenwende. Es ist der kürzeste Tag des Jahres, der in Hannover nur 7 Stunden und 39 Minuten lang ist. Darauf folgt die längste Nacht des Jahres mit 16 Stunden und 21 Minuten. Dieser Tag kennzeichnet auch den Winteranfang.

 

 

Ab morgen wird der Tag wieder länger. Dies ist zunächst nur nachmittags spürbar. Bis Anfang Januar geht die Sonne morgens etwas später auf, nachmittags jedoch etwas später unter. Verantwortlich dafür ist die abgeflachte, elliptische Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Je nördlicher ein Ort liegt, desto kürzer ist der Tag. In München beispielsweise ist der Tag 8 Stunden und 21 Minuten lang, in Hannover hingegen nur 8 Stunden und 18 Minuten. Durch den flacheren Sonnenlauf erreicht auch weniger Licht die Erde, sodass sie mit etwas Verzögerung abkühlt und die tiefsten Temperaturen im Januar und Februar messbar sind.

 

 

Der Winter ist eine Zeit des Rückzugs. Flora und Fauna legen eine Pause ein. Das verringerte Sonnenlicht führt beim Menschen zu einer Veränderung des Biorhythmus. So wird beispielsweise eine erhöhte Menge des sogenannten Schlafhormons Melatonin im Gehirn produziert, was zu Müdigkeit, vermehrten Träumen und Depressionen führen kann. Erkältungen und andere Erkrankungen nehmen zu. In den Monaten Dezember bis März sterben auch die meisten älteren Menschen.

 

 

Die Wintersonnenwende wird seit Jahrtausenden kulturell gefeiert, beispielsweise in Stonehenge in Südengland, bei den Externsteinen im Teutoburger Wald in Norddeutschland oder mit einem Feuerlauf auf dem Takaosan, einem Tempelberg in Japan. Symbolisch ist dieser Tag dem Licht gewidmet. In der vorantiken Zeit wurde die zunehmende Helligkeit als die Rückkehr der Sonne aus der Mutter Erde gedeutet. Daher wird die Nacht der Wintersonnenwende schon seit der Zeit der Kelten um 650 v. Chr. auch „Mutternacht“ genannt.

 

Die anbrechende Zeit kann auch eine Phase innerer Konflikte sein. Insbesondere die zwölf sogenannten Rauhnächte sind laut Volksmund eine Zeit der Geister, Dämonen, sprechenden Tiere und Vorhersehungen. Dabei bezeichnet „rau“ nicht die „Rauhheit“ der Nächte, sondern stammt von „Rauch“, was früher auch „pelzig“ bedeutete. Damit waren die Perchten gemeint, die mit Fellen behangen und mit furchteinflößenden Masken ausgestattet, das Böse mit Weihrauch vertrieben – gleichsam Feuer mit Feuer bekämpften. Dieser Brauch ist in den Alpen Bayerns und Österreichs bis heute erhalten geblieben. Die Zeit der zwölf Rauhnächte steht angeblich für die kommenden zwölf Monate des neuen Jahres. Was sich in ihnen andeute, würde sich später erfüllen.

 

 

Psychologisch gesehen ist diese Zeit mit den Polaritäten Altes-Neues, Tod-Geburt, Loslassen-Festhalten, Abschied-Neubeginn usw. verbunden. Sie geht mit einer höheren Vulnerabilität, Unsicherheiten, Aggressionen und Unbewältigtem einher. Die feine Barriere zum Bewussten wird durchlässiger. Erinnerungen und belastendes Material können leichter an die Oberfläche dringen und die gewohnte Stabilität ins Schwanken bringen. Ein Befassen mit den inneren Bewegungen und Landschaften sowie deren Anerkennen wäre ein guter Schritt, um Ängste, Ärger und Traurigkeit zu bewältigen. Die Zeit nach der Wintersonnenwende ähnelt dabei der sensiblen Zeit kurz nach der Geburt, in der das Sonnenjahr besonders viel Schutz und Geborgenheit braucht.

 

 

Oft wird diese Zeit genutzt, um sich der Einkehr, der Kontemplation, der Meditation, dem Yoga, dem Gebet, der Familie, den Freunden oder Menschen, die Hilfe benötigen, zu widmen. Unterstützend wirken können eine Diät, Fasten, Spaziergänge, Kerzen, Rituale, eine Tagesstruktur oder Genuss.

 

Spirituell kann dies eine Chance für die eigene Entwicklung bieten. Die oft übersehene Lücke zwischen den Gegensätzen des Lebens ist ein Moment der Stille. So wie es einen Augenblick des Atemhaltens zwischen Ein- und Ausatmen gibt, existiert sie auch beim Pendeln zwischen Alt und Neu. Dies kann eine befreiende Erfahrung sein.

 

 

Eine bewährte Methode, um diese Zeit auszudehnen, sind Meditation und Kontemplation. Bei der Meditation wird ein Zustand des klaren Hier und Jetzt, frei von Gedanken, beispielsweise mit Fokus auf Körper und Atem, trainiert. Bei der Kontemplation wird die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gedanken, ein Bild oder ein Gefühl gelenkt. Beides hat positive Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit und fördert innere Bewusstheit, Konzentration und Gelassenheit. So kann die Wintersonnenwende auch als die Überwindung der Dunkelheit durch das Licht, die Sonne als das sich ausdehnende Bewusstsein, interpretiert werden.

 

 

Im Shanti Path aus der Brhadaranyaka Upanishad heißt es:

 

"Asato Ma Sat Gamaya

Tamaso Ma Jyotir Gamaya

Mrityor Ma Amritam Gamaya

Om shanti, shanti, shanti

 

Führe mich vom Unwirklichen zur Wirklichkeit

Von der Dunkelheit zum Licht

Vom Tod zur Unsterblichkeit

Om, Frieden, Frieden, Frieden"

 

Eine Meditation und Kontemplation ist gut geeignet für den Jahresrückblick. Dabei kann sich Altes klären und es kann Raum für Antworten entstehen. Das ist günstig, um einen neuen Vorsatz für das neue Sonnen- und Kalenderjahr zu fassen. Interessierte und diejenigen, die sich dem Yoga verbunden fühlen, sind eingeladen, eine Kerze anzuzünden und sich zehn Minuten Zeit zu nehmen, um innezuhalten und sich mit dem kosmischen Rhythmus der Natur zu verbinden.

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